Solothurn
Um Millionenschäden zu verhindern: Kanton will bei Konkursen härter durchgreifen
Auf Millionen von Franken müssen Gläubiger und Sozialversicherungen bei Konkursen jährlich verzichten. Der Kanton will nun härter anfassen, wer trotz klarer Überschuldung weitergeschäftet.
Der Schaden geht in die Millionen. Und die Allgemeinheit zahlt mit. Rund 100 Firmen melden jedes Jahr im Kanton Solothurn Konkurs an. Und dabei verlieren nicht nur Gläubiger viel Geld. Auch Sozialversicherungen bleiben auf unbezahlten Rechnungen sitzen.
Nun soll dieser Schaden begrenzt werden. Ab dem 1. Juli will der Kanton bei Konkursen eine härtere Gangart fahren: Wer weitergeschäftet, obwohl ihm schon lange klar ist, dass er eigentlich die Bilanz deponieren müsste, soll künftig angezeigt werden. Denn zwar ist es nicht strafbar, schlecht zu geschäften. Strafbar macht sich jedoch, wer Schulden generiert, von denen er weiss, dass er sie nie mehr zurückzahlen kann. «Es gibt die Pflicht, die Bilanz zu deponieren, wenn eine Firma überschuldet ist. Dies wird aber selten gemacht», sagt Martin Schmalz, Chef des kantonalen Konkursamtes.
Ehrliches Gewerbe schützen
An einem Tisch im Oensinger Konkursamt sitzen der kantonale Suva-Chef Kilian Bärtschi, Martin Schmalz und Staatsanwalt Domenic Fässler. Die drei Männer haben in den vergangenen Monaten mit Polizei, IV, Betreibungs- und Handelsregisteramt, Ausgleichskasse und dem Amt für Wirtschaft und Arbeit geschaut, wie künftig der Schaden begrenzt werden kann. Damit soll auch das ehrliche Gewerbe gestärkt werden. «Wer systematisch Steuern, die Suva oder die Ausgleichskasse nicht bezahlt, kann 20 Prozent und mehr günstiger geschäften», sagt Staatsanwalt Fässler.
Systematisches Abkassieren stoppen
Suva-Chef Bärtschi sitzt an diesem Tisch, weil er die Hilfe der anderen Partner benötigt, um gegen Missstände und säumige Prämienzahler vorzugehen. «Alleine stehen wir hier auf verlorenem Posten», sagt der Agenturleiter der Suva im Kanton Solothurn. Er erzählt von einem Familiennetzwerk, das in rund viereinhalb Jahren vier mal Konkurs ging. Mal gründete die Mutter eine neue Firma, dann der Bruder. Die Verluste dieser Firmen beliefen sich bei der AHV und Suva zusammen auf über 200 000 Franken. Geld, das die Sozialversicherungen wohl nie mehr sehen werden. «Solche Fälle kommen immer wieder vor, Firmen mit Auffälligkeiten haben tendenziell zugenommen», sagt Bärtschi.
Es gebe Betriebe, die systematisch die Sozialversicherungen «abkassieren» würden. Die Lieferanten werden noch bezahlt, die öffentlich rechtlichen Firmen systematisch nicht mehr. Das Problem: Die Suva muss jede Firma in ihrem Zuständigkeitsbereich aufnehmen. Wer Konkurs geht, kann sich am nächsten Tag wieder anmelden. Ein weiteres Problem der Sozialversicherungen: Sie können eine Firma erst in den Konkurs treiben, wenn nachgewiesen ist, dass jemand systematisch die Beiträge nicht bezahlt. Bis dies so weit ist, kann es gut und gerne ein bis zwei Jahre dauern. Und dann ist der Schaden bereits gross.
Sogar für den Konkurs fehlt das Geld
Martin Schmalz ist der zweite Mann am Tisch. Konkurse gehören zu seinem Alltag. Der Chef des kantonalen Konkursamtes hat etwa 100 Fälle von Firmenkonkursen pro Jahr. Und er weiss, dass meist zu lange zugewartet wird, bis die Bilanz deponiert wird. Bei zwei Dritteln der Fälle führt das Konkursamt gar kein Verfahren durch. Denn: «Es ist nicht einmal genug da, um unsere Kosten zu decken.» Mindestens 5000 Franken müssten nämlich vorliegen, damit das Amt seine Kosten gedeckt hat und ein Verfahren durchführt. Schmalz und sein Team hoffen, dass die Aktion präventiv wirkt und künftig weniger lange gewartet wird. Dazu beitragen soll insbesondere auch die Abgabe von Merkblättern durch das Handelsregisteramt bei Firmengründungen sowie durch die Betreibungsämter bei Pfändungsvollzügen.
Die Frage ist: Wie kann man die Konkursverschleppung beweisen? Wann hat jemand den Konkurs verschleppt, wann hat jemand noch die – vielleicht berechtigte – Hoffnung gehabt, dass alles gut kommt? Hier kommt der dritte Mann am Tisch ins Spiel. Domenic Fässler ist Staatsanwalt in der Abteilung Wirtschaftskriminalität bei der Solothurner Staatsanwaltschaft. Man wolle niemanden bei einem Liquiditätsengpass plagen, sagt Staatsanwalt Fässler. «Der Schwerpunkt liegt in der Misswirtschaft. Wir konzentrieren uns auf die Konkursverschleppung.»
Man rechnet mit 50 Anzeigen pro Jahr
Am einfachsten wäre der Beweis zu führen, wenn die Buchhaltung noch da ist. Doch oft fehlt sie – weil sie nie richtig gemacht wurde oder weil sie zum Verschwinden gebracht wurde. Man könne sich aber auf die Betreibungsregisterauszüge stützen, sagt Fässler. Wer zahlreiche Pfändungen hat, hätte wahrscheinlich irgendwann wissen müssen, dass sein Geschäft nicht mehr funktioniert. «Der Beweis ist erbracht, wenn mit erheblicher Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist, dass die Firma überschuldet war», sagt der Staatsanwalt. Künftig werden mögliche Betroffene bereits bei der Firmengründung mittels Merkblättern auf die Pflicht, Überschuldungen anzuzeigen, hingewiesen. Bei Pfändungen werden von den Betreibungsämtern Informationsschreiben abgegeben, die mit der Unterschrift quittiert werden müssen. «Wir können so eher nachweisen, dass jemand hätte wissen müssen, wie die gesetzliche Lage aussieht», sagt Fässler.
Mit rund 50 Anzeigen pro Jahr rechnet man beim Konkursamt. Heute, sagt Martin Schmalz, gibt es zwar auch bereits rund 30 Anzeigen. Diese erfolgen aber meist, wenn die Buchhaltung fehlt. Dies ist ein Vergehen. Wer allerdings Misswirtschaft betreibt, begeht ein Verbrechen. Damit verbunden ist eine deutlich höhere Strafandrohung. Staatsanwalt Fässler geht davon aus, dass der grosse Teil der Fälle im Strafbefehlsverfahren abgewickelt werden kann. «Wir hatten bereits Verurteilungen», sagt er. Ziel aber seien nicht Verurteilungen, sondern der präventive Effekt: Es soll verhindert werden, dass Konkurse hinausgezögert werden und der Schaden wächst.
Quelle: az Solothurner Zeitung
Datum: 20.06.2019, 04:00 Uhr
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az Solothurner Zeitung
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