City of Solothurn
Chris von Rohr über das Krokus-Ende, sein Leben und seine Karriere: «Wir haben schon wenig ausgelassen»
Krokus zieht den Stecker. Vor dem letzten Schweizer Konzert legt Chris von Rohr seine 600-seitige Autobiografie «Himmel Hölle Rock’n’Roll» vor. Ein Gespräch über sein Leben und seine Karriere.
«Hallo, ich bin Jewel!» Im herrschaftlichen Haus an der Loretostrasse in Solothurn empfängt mich eine hübsche junge Frau. «Möchten Sie Mountain Tea? Er ist sehr gut», sagt sie.
Es ist Chris von Rohrs 18-jährige Tochter, seine Jewel. «Daddy kommt gleich», sagt sie und strahlt. Wir sitzen am Tisch in der Wohnstube. Gleich daneben das Klavier, auf dem der Gotthard-Hit «Heaven» komponiert wurde.
Sie wohnen in einem herrschaftlichen Patrizierhaus und tragen ein Adelsgeschlecht. Sind Sie ein heimlicher Royalist?
Chris von Rohr: Wenn die Monarchie wie in England geführt wird, wo Queen Lizzy eine ehrwürdige Haltung zelebriert, ist das ja noch okay. Aber wenn sie gegen den Willen des werktätigen Arbeiters installiert ist, dann sicher nicht. Monarchien haben zwar was Showbusinessartiges, sind aber nicht mehr die zeitgemässe Regierungsform. Und für mein Von vor dem Rohr kann ich nichts. Das ist verarmter Landadel. Einer meiner Vorfahren soll diesen Titel von einem Blaublüter erhalten haben, weil er seine Tochter an den Haaren aus dem Sumpf gezogen und ihr das Leben gerettet hat.
Dann sind Sie also doch ein überzeugter Demokrat. Aber Krokus führen Sie nicht gerade demokratisch, oder?
Nein, bei Krokus herrscht keine Basisdemokratie. Das haben Fernando (von Arb), Marc (Storace) und ich 2008 so beschlossen. Rockbands, die das probieren, fallen schnell wieder auseinander. Es braucht einen Oberhirten, der erfolgsorientiert führt, aber natürlich auch Verantwortung übernehmen muss, wenn’s nicht läuft. Als Alphatier und Motivator liegt mir diese Rolle von Natur aus im Blut. Aber das bedeutet vor allem viel mehr Arbeit und heisst übrigens auch nicht, dass die anderen Mitmusiker nichts zu melden haben.
Was wären Sie lieber, Louis XIV. oder Robespierre? König oder Rebell?
Puh... keines. Ich war und bin schon immer ein Art Freiheitskämpfer, ein romantischer Hippierocker.
Was ist der Ursprung Ihres Rebellencharakters?
Man kann sich das heute kaum mehr vorstellen. Aber wenn du damals, in deiner Jugend, nicht der Norm entsprochen hast, wurdest du sofort als Gammler ausgegrenzt oder angefeindet. Alle Leute um mich herum wollten mir ständig weismachen, was richtig und was falsch sei. Ich konnte es zwar noch nicht artikulieren, merkte aber instinktiv, dass das für mich nicht stimmte. Der Rock’n’Roll hat mich gerettet. Er hat mir gezeigt, dass es tatsächlich noch eine andere Welt da draussen gab. Mit Menschen, die wie ich dachten und fühlten. Also Rock’n’Roll aus Notwehr.
Ihre rebellische Ader ist in der Schule gewachsen. Sie waren ein Schulversager. Was lief falsch?
Die Schule war totalitär. Eine Diktatur. Ich bin jeden Tag mit einem Gefühl der Angst und Ohnmacht in die Schule. Die Lehrer trugen den Aggro-Frust in sich und haben Fehler mit Ohrfeigen bestraft. Die Schule war ein Kampfgebiet, in dem ich zehn Jahre meines Lebens verschwendet und verloren habe.
Ihre Tochter hat die Steiner-Schule besucht. Ist die Situation heute nicht besser?
Klar, teilweise. Es ist jedoch skandalös, dass die reiche Schweiz in der Bildung keine wirkliche Wahlfreiheit bietet. Keine staatlich unterstützte Schulvielfalt wie in den nordischen Ländern. Ich finde es störend, dass nur privilegierte Leute wie ich ihren Kindern eine massgeschneiderte Ausbildung in Steiner-, Montessori- oder anderen Privatschulen bieten können. Noch heute sind Schüler überforderten Lehrern und Lehrer oft unfähigen Schulleitern ausgeliefert. Der deutsche Philosoph David Richard Precht formuliert es so: Unsere Schulen sind vom letzten Jahrhundert, Lernfabriken, die Kreativität töten. Dabei sind die Kinder unser Kapital, unsere Zukunft. Sie haben die bestmögliche Ausbildung verdient. Wie überall braucht es Konkurrenz, Vielfalt, Wahlmöglichkeit und nicht ungesunde Monopole. Da sind uns die Skandinavier um Jahrzehnte voraus.
Am 7. Dezember kommt es im ausverkauften Hallenstadion zum grossen Finale. Ist nachher mit Krokus wirklich Schluss?
Vor zwei Jahren haben Fernando und ich den Entschluss gefasst, dass wir uns auf dem Höhepunkt verabschieden. Dass uns die Leute in Bestform in Erinnerung behalten. Dabei haben gesundheitliche Überlegungen eine massgebliche Rolle gespielt. Diese Abmachung gilt immer noch. Doch ich sage Ihnen, Künzlenstein, wenn wir so fit bleiben sollten, wie wir jetzt sind, dann wird es verdammt schwierig, diesen Plan einzuhalten.
Ist das der Rückzug vom Rückzug?
Nein! Wir versuchen uns an unsere eigene Vorgabe zu halten. Aber ehrlich, wir haben ja keine Hobbies (lacht), und Musiker bist du ein Leben lang. Zum Glück dürfen wir 2020 noch unseren Amigos in Mexiko, Amerika, Kanada und England Adios sagen. Danach soll Schluss sein. Aber ich werde hier keine Versprechen für die Ewigkeit abgeben. Wie heisst es doch so schön: Willst du den Herrgott zum Lachen bringen, dann erzähl ihm von deinen Plänen.
Fernando von Arb hatte gesundheitliche Probleme. Und Sie?
Ich bin okay. Wobei: Vor zwei Wochen fiel ich in Kreta aus der Hängematte. Das war mein Keith-Richards-Moment, der in den Ferien einmal von einer Palme stürzte. Resultat: Ich musste mich notfallmässig einer Ellbogen-OP unterziehen. Ja, es kann sehr schnell gehen. Der Wind dreht, und die böse Hexe erscheint.
Was ist die wichtigste Erkenntnis in Ihrer Karriere?
Von nix kommt nix. Nachhaltiger Erfolg ist nur durch knallharte Arbeit und hartnäckiges Dranbleiben zu erreichen. Gott steckt im Detail. Aber das Wichtigste, und das müssen wir auch unseren Kindern vermitteln: Man darf hinfallen. Pleiten sind erlaubt, solange man wieder aufsteht, die Spur wieder aufnimmt und seinen Traum weiterverfolgt. Rückschläge und Niederlagen gehören zum Leben und sind als Chancen zu sehen. Was wäre aus mir geworden, wenn es damals in den Achtzigern den Bruch mit Krokus nicht gegeben hätte?
Autor
az Solothurner Zeitung
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